Rechts schießt ein Wasserfall von dem hohen, mit winzig erscheinenden Holzhäusern bebauten Felsen herab. Diese Bauten verdeutlichen erst recht den Maßstab des tosenden Naturschauspiels. Die weiße, in der Luft liegende Gischt wird zum optischen Bildmittelpunkt, licht, brausend und ungebändigt. Das Wasser fließt dann aber, rasch beruhigt, mit dem türkisfarbenen Fluss in die Bildtiefe, der nach einer kleinen Distanz abermals, nun durch Stromschnellen, gischtig weiß aufblitzt. Über der kargen weiten und bergigen Landschaft erhebt sich ein schmaler Himmelsstreifen, der vielfarbig von violetten bis zu gelblichen Tönen changiert und eine ähnliche Farbsymphonie bietet wie der Vordergrund des kleinformatigen und doch geradezu monumentalen Bildes.
Abschiede muss man sich versüßen, und so wird dieses durch den Verein der Freunde der Nationalgalerie erworbene Werk von Johan Christian Dahl fortan auf annehmlichste Weise daran erinnern, dass der Autor dieser Zeilen mit der Silvesternacht 2009 auf 2010 nach gut 23 Jahren seinen Wirkungsort in der Nationalgalerie zugunsten neuer Aufgaben in Dresden verlassen hat. Eine solche, bedeutsame und richtungweisende Neuerwerbung parallel zu einer Verabschiedung aus dem Museumsdienst ist vielleicht keine Selbstverständlichkeit, aber sie durfte hier mit Sinn und Hintersinn erwünscht erscheinen, und sie gelang auf schönste, großzügigste, erinnerungswürdigste Weise, wobei dem Kunsthandel Le Claire für sein Entgegenkommen und vor allem dem Verein der Freunde der Nationalgalerie für sein Engagement zu danken ist. [1] So ist dieser kleine Text hier nun auch zu verstehen als ein ausdrücklicher herzlicher Dank des Autors an den Verein, seinen Vorstand und seine Vorsitzende Christina Weiß, die diesen Ankauf ausdrücklich und warmherzig unterstützten, und an den Direktor der Nationalgalerie, Udo Kittelmann, dem der Verfasser an dieser Stelle einen ausdrücklichen Dank für ein gutes Jahr der Zusammenarbeit sendet.
Johan Christian Dahl ist kein Unbekannter, auch wenn er dem deutschen Publikum vielleicht nicht so vertraut ist wie mancher seiner Zeitgenossen. Schon frühzeitig war er aus Norwegen nach Dresden gezogen, wo er im Kreis einer hochkultivierten Schule der Landschaftsmalerei, im Umfeld von Caspar David Friedrich, dem Transzendentalen, und Carl Gustav Carus‘, des Universalisten, tätig war. Dahl rückte auf zu einer der zentralen Gestalten der deutschen Landschaftsmalerei zwischen Klassizismus und Biedermeier, zwischen Romantik und Realismus und wurde der vielleicht erdgebundenste, realitätssinnigste Landschafter seiner Zeit. Seine Bildwelt bewegte sich meist zwischen norwegischer Heimat, deutschen Gebirgen und ostseenahen Inseln, aber er liebte es auch, “Luft zu malen” [2], wie er selber einmal schrieb, also Wolken und Himmel. Nicht der idyllische Süden italienisch gleißenden Lichtes und schönheitssatter Antiquità wurde sein Thema, wie man es etwa von Blechen kennt, sondern die deutsche Landschaft mit schwermütigen Elementen im Geiste der Bilder Ruisdaels und Everdingens einerseits, und die realitätsgesättigte Naturschilderung in der Tradition des französischen Landschaftsmalers Henri de Valenciennes‘ andererseits. Dahl war ein deutscher Künstler dem Wirkungsorte nach und ein Europäer im Denken. Eben diese Ambivalenz macht seine Kunst doppelt bemerkenswert. Auch arbeitete er akademisch-schulgerecht einerseits, weil er dadurch den Bildermarkt zu beliefern vermochte, und andererseits beherzt, authentisch und sehr malerisch-frisch.