• Künstler/inJulie Mehretu
  • TitelMetoikos (half extinguished beam 07.04. 21, 7pm)
  • Entstehungsjahr2019-2021
  • GattungMalerei
  • Technik und AbmessungTinte und Acryl auf Leinwand, 290 x 229 cm
  • Erwerbungsjahr2022
  • Erworben durch die Freunde der Nationalgalerie mit Unterstützung von Frau Yong Jingxin, Herrn Jiang Yixiang, Frau Marie-Blanche Carlier und Herrn Ulrich Gebauer

Metoikos (half extinguished beam 07.04. 21, 7pm), 2021, © Tom Powel

Julie Mehretus großformatiges Gemälde „Metoikos (half extinguished beam 07.04.21,7pm)“ ist Teil ihres jüngsten Werkzyklus „Metoikos“, in dem es um den menschlichen Zustand an sich sowie um Migration und Politik geht. Ein sog. Metöke (altgriechisch μέτοικος métoikos, deutsch ‚Ansiedler‘) war im antiken Griechenland ein dauerhaft in der jeweiligen Stadt lebender Fremder, der dort kein lokales Bürgerrecht genoss und damit keine politischen Mitwirkungsrechte besaß.

Wie für Mehretus künstlerische Praxis typisch, beruht auch „Metoikos (half extinguished beam 07.04.21,7pm)“ auf einer fotografischen Vorlage: auf dem Ursprungsbild (siehe Anhang) erkennt man einen Mann auf einer Demonstration an der US-/mexikanischen Grenze, an dem von zwei Seiten gezerrt wird: links die Gruppe der Demonstranten, rechts einige hochbewaffnete Polizisten, die den Mann aus den Reihen der Demonstranten herauslösen wollen. Das Foto bezieht sich auf einen Bericht von 2018, zur Zeit der Legislatur von Donald Trump, in der eine besonders scharfe Migrationspolitk in den USA herrschte (vgl. Link zu einem Artikel über die besagte Demonstration).

Der gesamte Werkzyklus „Metoikos“ basiert auf eben solchen Bildern des aktuellen Zeitgeschehens, in denen Mehretu auch Referenzen zu Internierungslagern für Einwanderer, sozialen Umwälzungen und Umweltkatastrophen zieht. Diese Fotos, die die Künstlerin manchmal Monate oder sogar jahrelang in ihrem Atelier aufbewahrt, bevor sie zu Ausgangspunkten für neue Werke werden, bilden die „DNA“ ihrer Malerei. Mit Hilfe von Photoshop verzerrt die Künstlerin die Bilder bis zur Unkenntlichkeit, sie zieht das jeweilige Foto so groß, dass nur noch ein Muster oder Raster aus Pixeln bleibt, kombiniert sie teilweise mit anderen Bildern und verwandelt sie mittels Farbe in vielschichtige Kompositionen, bevor sie per Tintenstrahldruck auf Leinwände gedruckt werden. Die Technik ist sehr komplex und vielschichtig, sie arbeitet teilweise mit dem Marker bereits am Computer, spielt aber dann auch wieder mit der Geste der Hand, indem sie auf die Leinwand bzw. auf die gedruckte Unterlage einwirkt und mit Siebdruck oder Airbrush-Techniken hantiert. Unter der Masse von turbulenten, leuchtenden Markierungen verschwindet zwar das Ursprungsbild, die Fotografie, wobei aber „der Schmerz und die Quelle des Bildes“, so Mehretu, erhalten bleiben.

Julie Mehretu, selbst 1970 in Addis Abeba geboren, lebt heute in New York und beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Praxis auf unterschiedliche Weise mit der Abstraktion ur-menschlicher Themen. Ihre neuen Gemälde vermitteln ein Gefühl der Unbeständigkeit: auf klaren, satten Hintergründen kollidieren unruhige schwarze Linien, Farberuptionen und Druckraster mit leuchtenden Formen und Fragmenten, die wie gespenstische Relikte über den verschachtelten Komposition zu schweben scheinen. Für Julie Mehretu ist die Abstraktion eine Form des Unwissens und des Potentials, die auf etwas verweist, das jenseits von Sprache liegt.

– Gabriele Knapstein