• Künstler/inShahryar Nashat
  • TitelCast in the same Vein
  • Entstehungsjahr2011
  • GattungSkulptur
  • Technik und AbmessungKunststoff, Pigmente, Stahl, 62 x 135 x 35 cm
  • Erwerbungsjahr2011
  • Erwerbung der StiftungJa

© Shahryar Nashat, Silberkuppe, Berlin

Dass nicht Glenn Gould, sondern eine Stele die Aufmerksamkeit von Shahryar Nashat auf sich zieht, gehört zu jenen Bedingungen, die es uns ermöglichen, über Kunst und nicht etwa über Kultur zu sprechen. Der Pianist Glenn Gould war ein großer Künstler, gewiss. Viele Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahr 1982 gehören seine Tonaufnahmen zum berühmten Kanon; sie können heute in allen Kulturkaufhäusern der Welt erworben werden. Das Gedenken, zu dem uns Shahryar Nashat mittels einer Stele auffordert, gilt hingegen eher und ganz offensichtlich dem Verborgenen.

Am 15. und 16. Mai 1979 nahm Gould im Eaton Auditorium in seiner Geburtsstadt Toronto Toccata in C minor von Johann Sebastian Bach auf; und es ist dieses Klavierspiel, das das Video Plaque eröffnet und es 5 Minuten und 7 Sekunden lang begleitet. Die ersten Bilder, die wir in diesem Zeitrahmen sehen, zeigen den Pianisten in einem großzügigen Studio des Fernsehsenders CBS. Er sitzt in schwarzem Anzug mit weißem Einstecktuch vor einem Steinway Flügel. In einer Abfolge von 64 Schwarz-weiß-Fotografien wird der Blick langsam auf das Bühnendekor gelenkt, das Glenn Gould zwar nicht die Schau stiehlt, das aber wider Erwarten zum Protagonisten des zweiten Kapitels von Plaque erhoben wird. Es sind Stelen, die zumindest der Optik nach aus Marmor bestehen und den Pianisten wie stumme Riesen überragen. Seinen über den Flügel gebeugten Körper, der wie immer auf einem Hocker Platz genommen hat, dem die Beinchen gestutzt worden waren, verweisen sie in seine zerbrechlichen Schranken. Im zweiten Kapitel des Videos landen wir in einer Fabrikhalle, in der zwei Männer ebensolche Stelen-Figuren reproduzieren. Im Übrigen sitzen wir auf einer Bank, die – Cast in the Same Vein – die Adern des Marmors aufgreift und uns einem Sockel gleich zum Kunstwerk erhebt, das bekanntlich nur im Auge des Betrachters entsteht.

Betonschlamm fließt in eine mit Stahlgitter ausgelegte Gussform, vor der Trocknung bearbeiten die Männer den Beton manuell mit Schaufeln, Schläuchen und Schwämmen, bis die Oberfläche keine Risse oder Poren mehr aufweist. Die Betonstele wird zum Schluss des Videos langsam aufgerichtet, es ist eine perfekte Replik des Dekors und zugleich eine phallische Geste. Aber die Nachahmung, die Mimesis, dieses von Platon erhobene und zugleich verteufelte Prinzip alles Künstlerischen, muss dem Blick der Kamera weichen. Sie tastet im Verlauf der Produktion den Schlamm und die Schläuche und die Körper der Arbeiter, ja, zärtlich ab. Sie sucht nach der nackten Haut, die unter dem Blaumann hinter der Schaufel zum Vorschein kommt, den muskulösen Armen, nach den markanten Gesichtszügen, den schlanken Händen und den hellen Augen, in denen man fast so etwas wie Liebe zum Handwerk entdeckt. Der Brutalismus wird tatsächlich auf Eros’ Fährten geführt. „Über Camp reden heißt deshalb es verraten“, schreibt Susan Sontag und findet doch eine Regel, die auf Shahryar Nashats Mäandern zwischen Objekt und Körper zutrifft: „Camp-Geschmack ist eine Art Liebe …. Es genießt […] statt Urteile darüber zu fällen.“

Antje Stahl